Sachfragen vs. Rechtsfragen

Wie dies in einem vorangehenden Beitrag beschrieben wurde, ist eine Angelegenheit lediglich dann vom Court of Appeals (der höchste Gerichtshof von New York) überprüfbar, wenn es sich um eine Rechtsfrage handelt; das heißt, wenn sie sich auf die Anwendung von Rechtsgrundsätzen und nicht auf die Feststellung des Sachverhalts bezieht. Diese Einschränkung geht auf die Verfassung des Bundesstaates New York zurück.

Wenn beispielsweise beide Parteien während der Gerichtsverhandlung die Aussagen von Sachverständigen vortragen, sind die Geschworenen dazu berechtigt, die Inhalte der Sachverständigenaussage zu berücksichtigen und eine sachliche Entscheidung darüber zu treffen, welchen Zeugen sie für glaubwürdiger halten. Jedoch ist Frage, ob der Zeuge überhaupt in der Lage ist, eine Sachverständigenaussage abzulegen, sprich ausreichend Fachwissen und Erfahrung in seiner oder ihrer Disziplin besitzt, um als Sachverständiger zu gelten, eine Rechtsfrage. Nur die Rechtsfrage darf dem Court of Appeals vorgetragen werden.

Nehmen wir als weiteres Beispiel den Vertragsbruch von Hersteller Henrik gegenüber Käuferin Katrin an. Henrik behauptet, er habe die von Katrin bestellten Produkte verschickt, aber Katrin sagt, dass sie diese niemals erhalten habe. Der Vertrag sieht vor, dass Henriks Pflicht erfüllt ist, sobald er die Produkte verschickt hat.

Es stellt sich in Katrins Klage gegen Henrik die Frage, ob Henrik die Produkte verschickt hat oder nicht.

Dies ist ein Beispiel für eine Sachfrage.

Nehmen wir aber einmal an, dass Henrik zugibt, dass er die Produkte niemals verschickt hat. Anders gesagt gesteht er, dass er seine vertragliche Pflicht gegenüber Katrin verletzt hat. Jedoch fordert er ein, dass er Katrin gegenüber dennoch nicht schadensersatzpflichtig sei, da seine Fabrik aufgrund des Ausbruches der COVID-19-Pandemie schließen musste und der Vertrag eine Klausel über force majeure (eine Bestimmung, welche die Nichterfüllung einer Vertragspartei entschuldigt, sollte der Partei aufgrund einer höheren Gewalt die Erfüllung ihrer Pflicht verwehrt bleiben) beinhaltete.

Die Frage lautet nun: Ist die Klausel über force majeure auf COVID-19 anwendbar? Diese Frage stützt sich auf die Anwendung von Rechtsgrundsätzen, insbesondere was das Gesetz als eine „höhere Gewalt“ betrachtet.

Dies ist ein Beispiel für eine Rechtsfrage.

Das heißt, dass der Oberste Gerichtshof von New York den zweiten Fall prüfen könnte, den ersten aber nicht. Im ersten Fall stellt das Urteil der Appellate Division (Berufungskammer) das endgültige Ergebnis dar.

Dies kann einige kontraintuitive Resultate haben, sollte ein Geschworenenurteil eine Rolle spielen, da die Geschworenen, auch wenn sie eine Tatsacheninstanz darstellen, ein Urteil fällen können, das dennoch Rechtsnormen impliziert. Ein Beispiel ergibt sich aus dem Fall Heary Bros. Lightning Prot. Co. v. Intertek Testing Servs., N.A., Inc., 4 N.Y.3d 615, 797 N.Y.S.2d 400 (2005), einem Gerichtsverfahren aufgrund eines Vertragsbruchs, in welchem das Gericht zwischen dem Gewicht der Beweise, die einem Geschworenenurteil zugrunde liegen (eine Sachfrage, denn die Geschworenen sind zu der Entscheidung berechtigt, wie viel Wert sie einem Beweismittel beimessen möchten), und der Angemessenheit der Beweise (eine Rechtsfrage, denn das Gericht musste feststellen, ob irgendein Beweismittel ausreichte, um den rechtlichen Elementen der Forderungen dieses Rechtsfalls zu genügen) zu unterscheiden. Wenn das Urteil vor dem Berufungsgericht eine Sachfrage behandelt (z. B. auf der Grundlage des Gewichts der Beweismittel), dann wäre das Gericht nicht dazu ermächtigt, dieses zu prüfen.

Ob eine Berufung nun also eine Sachfrage beinhaltet, die der Court of Appeals nicht überprüfen kann, oder eine Rechtsfrage, zu deren Prüfung er berechtigt ist, kann eine eingehende Analyse notwendig machen. Und ehrlich gesagt kann es sein, dass diese Frage nicht beantwortet wird, bis das Gericht sein endgültiges Urteil fällt. Dies ist eine weitere wichtige Erwägung bei der Beurteilung der eigenen Optionen im Rahmen der Berufung gegen ein nachteiliges Urteil.

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Zuständigkeit des Court of Appeals (Berufungsgericht)

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Der Constitution Day (Verfassungstag) und Primärquellen