Nicht alle Gerichtsverfahren laufen gleich ab

Der letzte Blogbeitrag bot einen umfassenden Überblick über das Berufungsverfahren in den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber wie unterscheidet sich dieses von einem Verfahren an einem Gericht erster Instanz, dem Prozessgericht?

Im Rahmen eines Gerichtsverfahrens haben die beteiligten Parteien die Möglichkeit, Beweismittel auszutauschen, was auch als conducting discovery (Beweisaufnahme) bekannt ist. Dies bedeutet, dass die Parteien im Hinblick auf eine offene Streitfrage wie beispielsweise der Auslegung eines Vertragsbegriffs Zeugenaussagen einbringen können, um den Sachverhalt zu klären. Wenn die Parteien vor dem Richter erscheinen und die Streitfrage noch immer nicht geklärt ist, haben sie zu diesem Zeitpunkt erneut Gelegenheit, darauf einzugehen und weitere Beweismittel einzubringen.

Eine Berufung ist jedoch anders. Ein Berufungsgericht wird von dem Rahmen des Protokolls eingeschränkt. Dies bedeutet, dass das Gericht lediglich die Inhalte des Protokolls prüfen kann und die Parteien keine neuen Fakten hinzufügen dürfen, sobald der Fall in die Berufung übergegangen ist.

Die Parteien sind dabei nicht nur an dieselben Tatbestände wie in dem Verfahren der gerichtlichen Vorinstanz gebunden, sondern werden auch zu denselben Argumentationen gezwungen. Dies bedeutet, dass sie im Rahmen der Berufungsklage keine neuen Argumente vorbringen können. Dies kann durchaus streng erscheinen, denn wenn Sie für das Berufungsverfahren beispielsweise an Stelle Ihres Anwalts, der Sie in Ihrem Gerichtsverfahren vertreten hat, einen neuen Rechtsberater engagieren möchten, kann Ihr neuer Anwalt den Fall eventuell anders betrachten und weitere Argumente finden, die er vor dem Berufungsgericht darlegen möchte. Jedoch kann der neue Anwalt dieses Argument nicht vorbringen, insofern es nicht in dem Protokoll “vermerkt” wurde, was bedeutet, dass der Prozessanwalt diese Streitfrage zu einem bestimmten Punkt bereits aufgeworfen hatte, auch wenn dies nur beiläufig war. Wenn der Prozessanwalt das Argument nicht vermerkte, dann ist der Rechtsbeistand für die Berufungsklage während des Berufungsverfahrens nicht in der Lage, dieses einzubringen, ganz egal wie überzeugend es auch sein mag.

Aber der Grund für diese offensichtliche Strenge lässt sich auf die Funktion der Berufungsgerichte zurückführen. Die Prüfung der Handlungen von gerichtlichen Vorinstanzen macht es erforderlich, dass das Prozessgericht die Möglichkeit hatte, eine Streitfrage in ihrer Gänze zu erörtern, und ein Berufungsgericht ist nicht in der Lage, ein Urteil in Bezug auf eine Argumentation zu fällen, die niemals geführt wurde.

(Selbstverständlich vermeiden Sie, dass ein Argument von der Berufung ausgeschlossen wird, indem Sie bereits ganz zu Beginn des Falls erfahrene Berufungsanwälte in die Bearbeitung miteinbeziehen. Dadurch verfügen Sie über eine Reihe von geschulten Augen, die in der Lage sind vorherzusehen, welche Argumente eventuell verfügbar sind, welche Fakten Sie benötigen, um Ihre Forderung zu untermauern, und wie Sie Beweismittel finden können, um diese Fakten im Rahmen der Beweisaufnahme zu bekräftigen und somit ein vollständiges Protokoll für eine mögliche Berufungsklage zu erstellen.)

Dieses geschlossene Protokoll schafft im Vergleich mit der Prozesspraxis eine rigide Struktur. Während der Prozess an Gerichten erster Instanz also häufig die Suche nach Beweismitteln umfasst, um eine Forderung zu bekräftigen, ist die Suche im Berufungsverfahren bereits abgeschlossen. Da dem Gericht bereits alle Beweismittel vorliegen (zumindest zu der einschlägigen Streitfrage) werden überzeugenden, klar verständlichen, gut fundierten schriftlichen Argumentationen eine exponentiell größere Bedeutung beigemessen. Die eingereichten Stellungnahmen sind in jeder Phase eines Gerichtsverfahrens von entscheidender Bedeutung, aber im Rahmen der Berufung können diese sehr wahrscheinlich die einzigen Quellen darstellen, die von einem Gericht berücksichtigt werden.

Ein dritter Unterschied zwischen den Verfahren an Prozessgerichten und Berufungsgerichten lässt sich in der Rolle von Präzedenzfällen erkennen. In einem Gewohnheitsrechtssystem werden Prozessgerichte durch die Bindung an stare decisis (frühere Gerichtsentscheidungen) eingeschränkt. Wenn beispielsweise ein Tatbestandsmuster auftaucht, dass es so seit 1876 nicht gegeben hat, muss ein Prozessgericht auf der Grundlage des Urteilsspruchs von 1876 entscheiden, ganz egal welche rechtlichen oder sozialen Veränderungen es in der Zwischenzeit gegeben hat. Anders gesagt sind Prozessrichter von dem geltenden Recht in seinem Ist-Zustand eingeschränkt, wobei dessen Soll-Zustand außer Acht gelassen wird.

Ein Berufungsgericht verfügt über mehr Flexibilität. Berufungsgerichte besitzen die Befugnis, ihre eigenen Präzedenzfälle aufzuheben (jedoch nicht jene eines höheren Berufungsgerichts), und sind demzufolge etwas offener gegenüber Argumentationen im Hinblick auf ein “gerechtes” Urteil im Gegensatz zu dem per geltendem Recht vorgeschrieben Urteil.

In Anbetracht der Unterschiede zwischen Gerichtsprozessen und Berufungen erfordern diese Verfahren ebenfalls unterschiedliche Arten von Rechtsbeistand. Genauso wie ein Prozessanwalt die beste Personalwahl darstellt, um Ihren Fall den Geschworenen (jury) vorzustellen, kann ein auf Berufungsklagen spezialisierter Anwalt fein geschliffene Argumente für eine weitere Prüfung darlegen.

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Recht vor der Kamera: Als Komparse bei einer Filmproduktion - Teil I

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Berufungen in den USA: Das Verfahren